Krisen sind immer Situationen, in denen sich Leadership ganz besonders zeigen muss. Die außergewöhnliche Situation unter dem Stichwort Corona steht dafür exemplarisch, weil – wie für wirkliche Krisen typisch – eben nicht auf reichlich Know-how oder Erfahrungswissen zurückgegriffen werden kann. Hier strahlt die Leadership-Kompetenz durch Persönlichkeit besonders hell – oder eben nicht. Führungshandeln und -Kommunikation sind in diesen Phasen besonders schwierig und besonders entscheidend.

In den letzten Wochen wurde der bereits vorher schon gut gefüllte Arbeitsalltag durch zusätzlich notwendige Tätigkeiten weiter aus- an manchen Stellen überlastet. Homeoffice wurde organisiert, Kontaktregeln verabschiedet und umgesetzt, Lieferketten überprüft und gesichert, Unruhe und Unsicherheiten innerhalb der Teams und Mitarbeiterschaft mussten aufgefangen werden. Alle Hände voll zu tun also bei Führungskräften. Die Nachdenk-Zeiten waren also eher kurz, Tempo oft Trumpf.

Spätestens Anfang April begann die Phase der Gewöhnung. Vieles, was erst völlig neu war, wird nun schon routinierter abgewickelt. Das erste innere verarbeiten dieser mehr als außergewöhnlichen Situation war abgeschlossen – bei manchen bewusst, bei anderen unbewusst. Damit wurde aus dem bisher tendenziell kurzfristigen Tun und Verändern auch (!) ein Blick auf die mittel- und langfristigen Perspektiven. Was ist in diesem Moment in Tat und Wort aus Coach-Sicht besonders wichtig?

Eigene Exzellenzpunkte kennen – und die damit einhergehenden Schwächen

Als Überschrift dafür erscheint mir „in Ihrer Mitte bleiben“ passend. Der bewusste Blick sollte geschärft dafür sein, wo aus den Stärken der eigenen Persönlichkeit immer mal wieder schädliche Übertreibungen werden: Der exzellente Planer negiert gern kurzfristigen Veränderungsbedarf, der risikobereite Macher vernachlässigt manchmal das ruhige Vorausdenken. Der starke Durchsetzer nimmt immer mal wieder seine Leute zu wenig mit – und der kooperative Moderator lässt als Führungskraft manchmal das klare Entscheiden vermissen. Wo stehen Sie? Diesen Übertreibungen können wir uns gar nicht völlig entziehen – dafür sind unsere inneren Impulse einfach zu stark (wir können höchstens vorgeben, das wäre bei uns anders;-). Die richtige Balance aus Gelassenheit und „mit voller Energie voraus“ ist gefragt – und der klare Blick, in welcher Situation was zu welcher Situation passt. In stressigen und Krisen-Zeiten kommt dies alles noch viel deutlicher zum Tragen. Und deshalb sind das bewusste Reflektieren und Justieren in die „Mitte“ um so wichtiger. Wo trifft dies in dieser Ausnahmesituation besonders zu?

Zuversicht versus Nicht-Wissen

In Ihren Teams und Ihrer Mannschaft wird natürlich derzeit Unsicherheit herrschen. Manchmal wird es artikuliert, oft auch nicht. Menschen verändern sich nicht gerne, Gewohnheit ist der stärkste Klebstoff der Welt – und jetzt verändert sich auf einen Schlag fast alles. Und diese Veränderung wird von außen aufgezwungen, was das Unbehagen weiter erhöht. Zuversicht auszustrahlen, Rückhalt geben und beides kommunizieren ist deshalb eine selbstverständliche Führungsaufgabe. Gleichzeitig können wir alle uns nicht völlig frei machen von der eigenen Unsicherheit, dem schlichten Nicht-Wissen, wie die nächsten Monate oder vielleicht Jahre sich entwickeln werden und welche Konsequenzen das haben wird. Wenn aus Zuversicht aufgesetzter 100%-Optimismus wird, spüren Menschen das und werden eher noch unsicherer, Vertrauen schwindet. Insofern: Zuversicht – ja, ganz sicher. Aber dabei die eigene Authentizität behalten, dass „man“ (also auch Sie) nicht alles im Griff haben kann. Oft erreichen wir Menschen am besten, wenn wir uns Nicht als völlig unverletzlich darstellen, sondern das eigene Nicht-Wissen zeigen. Die Übertreibung auf der anderen Seite wäre getriebener Aktionismus, skizzieren und ständiges kommunizieren von Horrorszenarien (gerne als „Ernst der Lage“ verkauft). Das ist übrigens das Gute am Nicht-Wissen: Auch das zukünftige Drama ist nicht gesichert. Die Frage: Übertreiben Sie als Führungskraft in einer der beiden Richtungen? Wo sollte Sie mehr in die Mitte steuern?

Information versus Dialog

Auch dies ist schon unter normalen Umständen ein sehr wichtiges Thema für Führungskräfte: Rede ich vor allem, also informiere ich besonders gerne, laufe Gefahr zu monologisieren? Oder pflege ich den Dialog mit meinen Mitarbeitern, Direct Reports etc. – gern auch über das sinnvolle Maß hinaus? Wie gehe ich in der aktuellen Situation damit um? Wo übertreibe ich – in welche Richtung sollte ich mehr steuern? Mitarbeiter brauchen in Krisen besonders viel Orientierung. Dies erreiche ich durch klare Aussagen (oft ist das eher weniger reden als mehr) und emphatisches motivieren nach dem Motto: „Ja, die Situation ist schwierig, ungewohnt und nicht sicher. Das braucht einen Moment, um es zu akzeptieren. Und dann müssen wir auf dieser Basis alles tun, was in unserer Macht steht, um das Beste daraus zu machen.“ Doch damit ist es nicht getan: An welchen Stellen können Mitarbeiter mit Ihnen kommunizieren, Ihre Gedanken, Sorgen und auch innovative Ideen anbringen? Erhält das Raum? Und auch hier wieder auf der anderen Seite: Nicht jede Sorge, jedes Horrorszenario muss gemeinsam bis ins letzte Detail diskutiert werden. Hier sind vor allem die informellen Dynamiken zu beachten, die durch zu viel reden entstehen. Genau wie ein stündliches Checken der Nachrichten zum aktuellen Stand einer Krise nicht sinnvoll ist. Dies schürt Ängste und ist destruktiv. Die Frage: Braucht es bei Ihnen mehr Information, Orientierung durch Sie und Ihre Führungskräfte? Oder braucht es ein mehr an Dialog?

Aktuell versus Langfristig

Während so manches Tech-Unternehmen aus den USA absoluter Profiteur der Krise ist, gibt es andere, die bereits kurzfristig um den Bestand des eigenen Unternehmens fürchten müssen. Dies sind die beiden Extrempositionen. Die meisten Unternehmen liegen bei einer externen Krise zwischen diesen beiden Polen: Die einen haben weniger zu tun, die anderen mehr. Die einen machen Kurzarbeit, die anderen Überstunden. Für die große Mehrzahl, die in der Mitte steht, gilt es, das eigenen Denken eben auch zwischen diesen beiden Polen auszubalancieren: Was ist aktuell besonders wichtig, wo liegen die größten Risiken? Aber eben auch: Welche Szenarien sind im zweiten Halbjahr oder 2021 möglich? Welche besonderen Chancen bieten sich? Welche kurzfristigen Umstellungen, werden zu langfristigen Gewohnheiten werden, einfach weil sie effizienter sind? Was kann mein Unternehmen aus dieser Situation mitnehmen? „Creative versus reactive“ sozusagen. Hierzu kann man sich gut an das Ende dieses Jahres versetzen und sich aus dieser Perspektive fragen: Was hat sich verändert? Was haben wir Sinnvolles getan und entwickelt? Dieser klassische Perspektivwechsel aus der Zukunft ins Heute zu schauen (statt von heute in die Zukunft), verändert oft die Gedanken. Und auch hier das Bewegen in die eigene Mitte durch die klare Frage an sich selbst: Sind Sie mit Ihren Denk- und Handlungsmustern stark genug in der Aktualität? Sind Sie auch klar genug und nehmen sich wirklich Zeit für Gedanken, was die mittel- und langfristige Zukunft bringt? Organisieren Sie Chancen-Denken in Ihrem Unternehmen?

Viele Unternehmenslenker und Führungskräfte werden sich mit diesen Themen schon beschäftigt haben, manch einer auch bereits eine gute Mitte gefunden haben. Besser wird man allerdings immer im Leben und in seiner Aufgabe, wenn man sich ernsthaft und selbstkritisch fragt: Wo kann ich noch etwas bewusster, anders agieren, um besser zu werden? Und dann entsprechend handelt.