Eine Krise beginnt nicht erst, wenn die roten Zahlen dunkel sind oder Liquiditätsengpässe drohen. Dann ist es oft entweder zu spät oder die zu treffenden Maßnahmen müssen gewaltig sein. Stark sensibilisiert sollte jede Geschäftsführung bereits sein, wenn die Finanzergebnisse nicht mehr den Plan erreichen und sich der Abstand von Periode zu Periode vergrößert. Regelmäßiges Monitoring der wesentlichen Finanzkennzahlen (kurzfristig, mittelfristig und langfristig) ist für das frühzeitige Erkennen einer Schieflage und rechtzeitiges Agieren unabdingbar. Und dazu das rechte Augenmaß, welcher Teil der Abweichungen vorübergehend ist oder bereits durch getroffene Maßnahmen verbessert wird – und was eben Krisenmanagement verlangt.

Je kritischer die Situation, desto schneller müssen Entscheidungen getroffen werden. Diese sind klar zu kommunizieren und müssen auch von den Mitarbeitern verstanden werden. Das ist besonders wichtig, weil oft gedacht wird: Einmal klar kommuniziert und alle wissen, was zu tun ist. Was meiner Erfahrung nach jedoch in den seltensten Fällen automatisch passiert.

Bei der Kommunikation steht Ehrlichkeit an erster Stelle. Mitarbeiter spüren und wissen, wenn interne Nachrichten nicht der Wahrheit entsprechen – und werden dann auch nicht mit voller Energie aktiv. Dazu gehört auch: Sollte eine Entscheidung sich als falsch erweisen, muss sie sofort korrigiert werden. Und auch das ist klar und deutlich zu kommunizieren. Vertrauen geht verloren, wenn etwas vor sich her geschoben oder gar „unter den Teppich gekehrt“ wird. Und ohne Vertrauen wird keine Krise nachhaltig bewältigt.

Je größer das Unternehmen, desto wichtiger ist es, dass alle Führungskräfte eine einheitliche Sprache sprechen. Auch inhaltlich muss dasselbe eindeutig kommuniziert werden. Es dürfen bei den Mitarbeitern keine Irritationen durch unterschiedliche oder gar widersprüchliche Aussagen der Führungspersonen entstehen.

Wo liegt der Fokus?

Bei Unternehmen mit vielen kleinen Verkaufseinheiten, wie es zum Beispiel bei meiner langjährigen Tätigkeit bei einem Filialunternehmen mit fast 700 Outlets der Fall war, muss die jeweils kleinste Cash Generating Unit im Vordergrund stehen. Es gibt immer – auch in der Krise – gute, durchschnittliche und schlechte Niederlassungen. Somit sind auch unterschiedliche Maßnahmen zu treffen. Gerade auch auf die Motivation der Mitarbeiter bezogen, ist hier sehr viel Sensibilität gefragt. In der Regel sieht der einzelne Mitarbeiter nur seine eigene Filiale und versteht auch nur Maßnahmen, die seine persönliche Situation betreffen.

Darüber hinaus ist ein sehr klarer Kurs von Nöten: Beabsichtigte Maßnahmen zur Krisenbewältigung müssen eindeutig definiert sein.

  • Zu welchem Ziel/Ergebnis sollen sie führen?
  • Welche Ressourcen sind nötig?
  • Wer sind die verantwortlichen und handelnden Personen?
  • Wie sehen die exakten finanziellen Wirkungen in Euro aus? (Einfach nur „besser“ reicht nicht!)
  • Wie sieht das Controlling der jeweiligen Maßnahme aus?

Jede Entscheidung, jede Maßnahme muss dabei aufmerksam überwacht werden, damit bei Abweichungen direkt zielführend korrigiert werden kann.

Kein Unternehmenslenker allein kann die Krise lösen – zwei ganz wichtige Aspekte:

Auch wenn die Aktivität von der Geschäftsführung ausgehen muss und sie über die Dynamik des Prozesses entscheidet, sollte jedem klar sein, dass die eigene Wirkung immer äußerst begrenzt ist. Umso wichtiger ist es, die nachfolgenden Ebenen direkt einzubeziehen – und sie dann aber auch eigenverantwortlich agieren zu lassen. Das heißt:

1. Ein Vorgesetzter muss die Fähigkeiten und Motivation seiner Mitarbeiter kennen, sonst kann er sie nicht führen. Er muss in Krisensituationen noch viel mehr als sonst „auf den richtigen Knopf drücken“ können. Andernfalls geht das Vertrauen in seine Führung verloren.

2. Ebenso wichtig ist es, nicht plötzlich in die Führung oder das Management der nachgeordneten Ebenen einzugreifen. Manche tendieren dazu, plötzlich alles selbst machen und auch Mikro-Entscheidungen treffen zu wollen. Es muss klar sein: Eine Führungskraft hat die Verantwortung für sein Team und die Erreichung der Ziele des Teams und deshalb entscheidet sie auch über Zusammensetzung und Arbeitsweise – natürlich im Rahmen der Führungsrichtlinien des Unternehmens.

Wichtigste Werte – Leitlinien auch und gerade in der Krise

Werte dienen gerade auch der Unternehmensführung selbst und den Führungskräften dazu, ihr eigenes Handeln zu überprüfen. Für mich sind die wichtigsten Aspekte in der Krise aber auch grundsätzlich:

  • Klare Strukturen: Jedes Unternehmen hat eigene spezielle Strukturen, die im Laufe der Jahre gewachsen sind. Meistens sind sie branchenspezifisch und von dem Intellekt der fachlichen Mitarbeiter geprägt. Das wird häufig unterschätzt oder gar nicht berücksichtigt. Streng nach dem BWL-Lehrbuch vorzugehen, ohne Rücksicht auf vorhandene Strukturen und Personen zu nehmen, wird eine schnelle und erfolgreiche Krisenbewältigung verhindern. Wichtig ist auch das Verhalten innerhalb der Strukturen: Jeder kennt seine Aufgabe und Stellung sowie seinen Handlungsspielraum.
  • Vieraugenprinzip: Gibt mehr Sicherheit für die Beteiligten.
  • Disziplin: Vereinbarungen müssen eingehalten werden – und zwar von allen Seiten.
  • Und dazu die bereits genannten Aspekte wie Ehrlichkeit und Vertrauen, die ich grundsätzlich für unabdingbar halte.

Nach der Krise – und damit sie nicht wieder kommt:

Im Verlauf der weiteren, hoffentlich verbesserten Unternehmensentwicklung muss regelmäßig überprüft werden, ob die vorhanden Strukturen, Arbeitsabläufe und handelnden Personen bzw. Führungskräfte noch zu den sich veränderten Bedürfnissen passen oder ob hier Korrekturbedarf besteht. Auch hier rächt sich zeitliche Verzögerung sehr häufig.

Vielleicht noch ein wesentlicher Aspekt zum Schluss: Zur Bewältigung einer Krise sind oft andere Teams zusätzlich notwendig – mit anderem Know-how, anderem Blickwinkel und anderen Charaktereigenschaften. „Wer in meinem Unternehmen wird angesichts dieser Krise zur Höchstform anlaufen, wen brauche ich an welcher Stelle? Und wo benötige ich zusätzliche, externe Unterstützung“ ist deshalb ein Fragenkomplex, den sich die Mitglieder der Unternehmensführung direkt zu Beginn des Prozesses stellen sollten – ganz nach dem Zitat von Albert Einstein: „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“