Der Entwicklungsstand eines Unternehmens wird immer entscheidend begrenzt durch den Entwicklungsstand der Persönlichkeiten seiner Führungskräfte. Geschäftsführung und Führungskräfte bestimmen durch ihre Haltung und ihr Verhalten das Klima, die Kultur „ihres“ Unternehmens und setzen Standards für Organisation und Prozesse.
Organisation, Konzepte und Strategien sind dabei oft in aller Munde. Bei der Gestaltung des ständigen Change über Big-Data-Analyse und ausgefeilte Marktstrategien bis zur Industrie 4.0 werden Zeit und Energie in zahllose Themen zur Verbesserung des Unternehmens und letztendlich immer zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens investiert. Und selbstverständlich stiftet vieles, was dabei herauskommt, einen Nutzen.
Am Ende aller Maßnahmen entscheidet jedoch immer ein Mensch, also jeder Einzelne im Unternehmen, ob er persönlich den entscheidenden Schritt macht, ob er 80% oder 120% gibt. Ohne ihn ist alles Andere nichts. Damit stellt sich für Führung die Frage: Wie bewege ich meine Mitarbeiter zu diesem entscheidenden Schritt, welche Impulse kann ich senden – und womit behindere ich eher?
Führung entscheidet, wie es läuft: Macht und Nutzen
Ein wesentlicher Aspekt ergibt sich hierbei aus dem natürlichen Spannungsfeld von Macht und Nutzen. Ich habe als „Chef“ in der Regel die Macht, etwas durchzusetzen und meinen Mitarbeitern gewünschte Ziele und Vorgehensweisen vorzuschreiben. Der höchste Nutzen für die Abteilung, für das Unternehmen wird jedoch erreicht, wenn Ziele und vor allem die Vorgehensweise, der Weg optimal zu meinem Mitarbeiter passen – und nicht, ob dieser „meinen Vorstellungen“ entspricht. Setze ich hingegen meine Vorstellungen durch – die Macht dazu ist vorhanden –, verbrennt mein Unternehmen bares Geld.
Mein Erfolgsweg – aus Erfahrung gut?
Geschäftsführung wie Führungskräfte agieren in der Regel aus bester Absicht heraus. Der Gedanke liegt nah, dass der Weg, der mich erfolgreich macht oder gemacht hat, eben der Weg zum Erfolg ist. Anders formuliert: Man könnte glauben, dass eben dieser Weg auch für jeden Mitarbeiter der richtige wäre, dass es nur an entsprechender Motivation oder Leistungsfähigkeit fehlt. Im schlechtesten Falle werden diese dann mit Druck gesteuert oder (nur etwas besser) mit der Karotte in Form von Boni, Beförderungen oder ähnlichem angetrieben.
Doch das ist zu kurz gedacht. Der beste Weg für mich gilt nicht für jeden, in der Regel für die Wenigsten. Und abseits der Erkenntnisse in Seminaren oder Coachings muss dies eben bei den Kleinigkeiten des Alltages umgesetzt werden. Es sollte das Ziel sein, eine konkrete Idee davon zu haben, auf welche Art und Weise mein Mitarbeiter besonders stark und produktiv sein kann. In der Regel zahlt dies auch extrem auf die Motivation des Mitarbeiters ein.
Kopfnicken – aber noch nicht im Alltag angekommen
Was in der Literatur oder unter Experten längst als Allgemeingut gilt, ist in Unternehmen trotz aller Absichtserklärungen im Arbeitsalltag zu wenig angekommen. Dies zeigt mir zum Beispiel immer wieder eine Frage in Coachings mit Führungskräften in Sandwich-Positionen. Kurz gefasst: „Brauchen Sie mehr Druck von Ihrem Vorgesetzten, um besser arbeiten zu können? Nein.“ „Sind Sie der Meinung, Ihre eigenen Mitarbeiter könnten manchmal etwas mehr Druck gebrauchen?“ Stille. Fragen Sie sich das ernsthaft selbst: Brauchen Ihre Mitarbeiter manchmal einfach etwas Druck? Oder steuern Sie vor allem über die neue Boni-Regelung?
Dass Führung im Alltag trotz zahlloser Entwicklungsprogramme in der Regel eben immer noch viel verschenkt, zeigen neben einem ehrlichen Blick in den Arbeitsalltag auch diverse Studien. Ob nun die bis zum Gehtnichtmehr zitierte Gallup-Studie, die Jahr für Jahr belegt, dass sich zwei Drittel der Mitarbeiter ihrem Unternehmen nicht emotional verbunden fühlen und Dienst nach Vorschrift machen – welch eine Verschwendung vorhandener Potenziale. Oder auch die vielfach belegte Korrelation der Zufriedenheit eines Mitarbeiters mit der Qualität seiner Beziehung zur direkten Führungskraft – die nach wie vor Kündigungsgrund Nummer 1 ist, wenn hier Unzufriedenheit herrscht.
Die beiden beliebtesten Erklärungsversuche gegen Selbstreflexion
Um die eigene Führung wirksam zu machen, hilft schlicht das Hinterfragen des eigenen Denkens und Handelns. Die beliebtesten Ausreden gegen eine solche Selbstreflexion liegen in einer Rationalisierung der eigenen emotionalen Vorlieben. Ein häufig gehörtes Gegenargument beginnt deshalb mit „Wenn jeder macht, was er will…“. So argumentieren beispielsweise Menschen, die sehr hohen Wert auf Planung, Struktur oder Regeln legen, gerne damit, dass Chaos ausbrechen würde, wenn ihre Mitarbeiter sich nicht an alle den Plan oder die Regeln halten. Bei einem zweiten Blick wird jedoch schnell klar, dass eben nicht nur die beiden Zustände Ordnung und Chaos existieren, sondern unendlich viele Graustufen zwischen planvollem und spontanem Handeln. Es gibt nicht nur schwarz oder weiß. Gleiches gilt für Selbstbestimmung oder gemeinsames Entscheiden, für Direktheit und Freundlichkeit etc. Es gibt zwischen allen Polen unzählige Grautöne und Abstufungen. Diese Abstufungen zuzulassen und möglichst auch wertzuschätzen, ermöglicht es Mitarbeitern, mehr von ihren eigenen Stärken einzubringen. Dafür muss ich als Führungskraft aber davon ablassen, dass mein Weg der bessere oder einzig richtige ist.
Ebenso häufig werden „hohe Ansprüche“, die man nun mal habe, ins Feld geführt, um das eigene Denken und Handeln nicht zu hinterfragen. Aber auch hier zeigt sich bei genauem Hinsehen, dass es sich nie um einen allumfassenden hohen Anspruch handelt, sondern den Anspruch an ein bestimmtes Kriterium. Sehr exakt zu arbeiten („Ich brauche höchste Qualität.“), vergrößert natürlicherweise den Zeitraum für eine Arbeit. Schnell zu agieren und zu reagieren, ist dagegen in der Regel fehleranfälliger. Aber welcher der beiden Pole bildet einen hohen Anspruch? Zeit oder Exaktheit? Und welche Graustufen dazwischen? Die entscheidende Frage für die eigene Entwicklung ist, wo übertreiben wir es selbst und wo beginnen wir, unseren Mitarbeitern ein Vorgehen vorzuschreiben, das längst nicht mehr im Sinne des Unternehmens und damit wirtschaftlich sinnvoll ist, sondern vor allem unseren eigenen langjährigen Gewohnheiten und Vorlieben entspricht.
Jeder agiert dann am besten, am stärksten, optimal im Sinne des Unternehmens, wenn er seine eigenen Wege, Antriebe, Werte umsetzen kann. Dafür muss ich mich als Führungskraft selbst gut kennen und Unterschiede zu anderen wahrnehmen können. Und ich muss mich auch an den Mitarbeitern orientieren, mit denen es nicht „gut läuft“. Menschen zu führen, die sowieso motiviert dabei sind und mit denen der Führungskontext reibungslos funktioniert – dafür wird im Führungsjob kein Geld bezahlt. Die Leistung liegt darin, eben auch die „anderen“ zu bewegen.
Was brauchen meine Mitarbeiter?
Statt auf eine schnelle Selbstbestätigung im Führungsalltag zurückzugreifen, die eigenen Automatismen ablaufen zu lassen und Vorlieben zu rationalisieren, ermöglicht das stetige Hinterfragen der eigenen Einstellungen und Verhaltensweisen eine Weiterentwicklung der eigenen Persönlichkeit und dadurch bessere, zielgerichtete Führung. Mit den ernsthaft gestellten Fragen „Womit mindere ich die Leistungsfähigkeit und Bereitschaft meines Mitarbeiters X?“ und „Was braucht dieser Mitarbeiter von mir, um erfolgreich zu sein, um erfolgreich sein zu wollen?“ wird sukzessive ein reibungsloserer und produktiver Führungsprozess angestoßen. Stärke bedeutet hier, ehrlich zu sich selbst zu sein und wertfrei Konsequenzen ziehen. Dadurch komme ich als (Führungs-)Persönlichkeit weiter. Das kostet zu Beginn Zeit und Mühe, verunsichert vielleicht erst einmal – zahlt sich aber schließlich in höherer Leistungsfähigkeit des eigenen Bereichs oder des gesamten Unternehmens aus. Und neben allen menschlichen Aspekten ist es schlicht wirtschaftlich sinnvoll.