Ausgangslage:

Wer als Geschäftsführer in ein Unternehmen neu eintritt, kann durchaus auf folgende Ausgangslage treffen: Die Bereiche Produktion, Vertrieb, Produktmanagement und Finanzen agieren weitgehend selbständig – positiv ausgedrückt. Anders gesagt: Die Funktionen beschäftigten sich mit sich selbst, und wenn es um die „gemeinsame Sache“ geht, dann tut man das seinige dazu, allerdings auch gerne nur bis zu dem Punkt, wo es nicht so schmerzt. Die Ursachen für dieses wenig produktive Verhalten sind immer vielschichtig.

Es beginnt mit einer Art der jahrelangen Führung, die sehr bestimmend war, hierarchisch gut sortiert. Die Konsequenzen bei Pflichtverletzung wurden primär druckvoll angedroht, manchmal auch „final“ umgesetzt, und nicht über Hilfe, Schulung oder Kompetenzerweiterung – oder zumindest über eine angemessene Konsequenz. In der Folge machten die Mitarbeiter das, was sie immer machen, wenn die Angst größer als das Zutrauen in die eigene Leistung und deren Anerkennung ist: Sie ducken sich. Das Handeln der Führungskräfte und Mitarbeiter wird unverbindlich.

Wenn dann der Gesellschafter auch noch für eine längere Zeit die größer werdende wirtschaftliche Misere durch Finanzspritzen und viel Wohlwollen „relativiert“, fühlen die Mitarbeiter nicht mehr, dass es auf sie ankommt, dass sie wertvoll für den Erfolg des Unternehmens sind. Und auch nicht mehr, dass sie am Ende die Verantwortung für Innovationskraft und wirtschaftliche Prosperität übernehmen können und sollen.

Der letzte Eckpunkt ist banal: Die Welt dreht sich immer schneller, Märkte entwickeln sich weiter, Kunden stellen andere Anforderungen, Disruptionen kommen häufiger vor und Entscheidungen haben eine immer kürzere Halbwertszeit.

In diesem Fall wurde das Unternehmen durch ein Leitungsgremium geführt, deren Hauptanliegen war, die Sachaufgaben möglichst effizient und gut abzuarbeiten. Etwas erschwerend wurde oftmals die schnelle Lösung dem nachhaltigen Verankern in der Organisation vorgezogen, also „Feuerwehr vor Strategie“.

 

Herausforderungen:

Also Change, na klar. Aber wohin? Hier beginnt aus meiner Sicht Leadership. Hier beginnt die Führung. Hier beginnt die wesentliche Führungsaufgabe des Top-Managements. Nicht nur der Geschäftsführung, sondern auch des Gesellschafters. Und natürlich von dort aus hinein in alle Führungsebenen. Eine nach der anderen. Leadership ist für mich aber nicht Anweisen im operativen und strategischen Sinne, jedenfalls nicht als erstes. Leadership ist persönliche Haltung, für sich selbst und für das Unternehmen – und für die Menschen, die dort arbeiten. Leadership ist das Wissen darüber, wo man steht und wo man hinmöchte. Leadership ist Entscheidungen treffen – für sich und für das Unternehmen, für das man Verantwortung trägt. Und mit den Entscheidungen über das Wohin kommt die Entscheidung über den Weg. Und daraus folgt die Kommunikation über das Ziel, die Ressourcen, die man dafür hat, und über die Konsequenz in der Umsetzung. Eines ist doch klar: Ohne klares Ziel und die Mittel, dorthin zu kommen, ist auch die beste Haltung zum Scheitern verurteilt.

Hier war das Ziel, die Mitarbeiter und damit die Organisation wieder lebendig zu machen, die Mitarbeiter aus der Deckung zu holen, Innovationen anzustoßen und die Übernahme von persönlicher und individueller Verantwortung auf Basis großer vorhandener Kompetenzen zu ermöglichen. Mehr nicht, aber auch nicht weniger! Ach so, es gab auch noch wirtschaftliche Ziele: Umsatz, Gewinn, Marktanteile, Cash Flow…

Vorgehen:

Wenn eine Organisation „lebendig“ gemacht werden soll, muss man ihr erst einmal sagen, dass sie „tot“ ist. Wenn man die Mitarbeiter befähigen will, dass sie an sich und das Unternehmen glauben, dann muss man selbst an sie glauben. Wenn man individuelle Verantwortung erwartet und Innovationen benötigt, dann muss man selbst aus der Deckung heraus und neue Wege gehen. Das war meine vordringlichste Aufgabe.

Ein großes Unternehmen ist ein großes Unternehmen. Aber immer sind da Menschen, die man kennt und mit denen ich sehr eng zusammengearbeitet habe. Es ging also darum, deren Vertrauen zu erhalten, die Ziele zu teilen, das gemeinsame Einstehen (Achtung: Verantwortung!) für das Vorgehen zu festigen und konsequent loszulegen. Das Vorgehen war auf allen Ebenen der Hierarchie immer wie folgt:

  1. Sensibilisieren („Wir sind tot, können aber auferstehen.“)
  2. Vertrauen schaffen („Wir müssen etwas ändern, und das können wir auch.“)
  3. Die Mitarbeiter hören und ernst nehmen
  4. Schnell und fokussiert handeln („Es gibt nur eine schnelle Umsetzung oder keine. Und es gibt keinen „Plan B“.)
  5. Dauernörgler isolieren oder entfernen

Die Umsetzung erfolgte aus einem Kern heraus in jeweils größere Kreise. Die jeweiligen Führungsebenen müssen nacheinander (!) ihren Change erleben. Es bedarf der Motivation durch Gespräche mit den Vorgesetzen, ihren jeweiligen Leadern und untereinander. Es geht ja am Anfang leider auch darum, sich abzusichern. Zu fragen „Machst Du (auch) mit?“ oder ohne unglaubwürdig oder exponiert zu sein, erste Schritte zu gehen und auszuprobieren. Sinnvoll ist, in der jeweiligen Ebene eine Plattform zu schaffen, auf der Erfahrungsaustausch, Motivation und Ausprobieren der neuen Freiräume ohne vorzeitiges Bewerten und Verurteilen stattfinden können. Eine Plattform kann ein Chatroom sein, ein Bierabend oder eine Konferenz.

Da in diesem Falle 3 Hierarchieebenen nacheinander „besprochen“ werden sollten, braucht man natürlich etwas, was immer knapp ist: Zeit. Deswegen habe ich in dieser Situation nur 2 Ebenen differenziert. Die erste Ebene bestand aus sechs Personen. Das ist übersichtlich, und man kennt sich ja auch schon ganz gut. Trotzdem: Jeder hat seine Ausgangsposition, seine Erfahrungen, seine Haltungen. Change ist kein Selbstläufer, und ich habe Change-Coaches zu Hilfe genommen. Menschen, die den Change jeden Tag begleiten. Die einen größeren Instrumentenkoffer und vielleicht auch eine andere Sprache einsetzen. Also sind wir im Prozess schnell ein halbes Jahr weiter.

Danach geht es an die zweite (und dritte) Ebene! Natürlich ist das schwieriger; es sind mehr Menschen, es ist für viele einfacher, sich in der Diskussion weg zu ducken oder auch sich zum Nörgeln zu verstecken. Man kennt sich untereinander nicht so gut, es sind ja Mitarbeiter zusammen, die teilweise bisher gar nichts miteinander zu tun hatten. Aber das ist wichtig: Es geht um das ganze Unternehmen, es geht um die übergreifende Arbeit, es geht um gemeinsamen Willen und Verantwortung! Also muss man sich kennen, respektieren und miteinander arbeiten lernen! Dass dieser Prozess länger dauert als mit der ersten Ebene, ist daher nicht nur mit der schieren Anzahl von ca. 70 Personen zu erklären. Die notwendigen Interaktionen, die Fragen und Besprechungen, das Feedback erfordern einfach mehr Zeit. Faktor 10?, Nein, aber irgendwo zwischen 5 und 6 liegt er in der Regel. Also 3 Jahre? Ja – mindestens!

Und dazwischen immer wieder mit der ersten Ebene alleine arbeiten! Von Mal zu Mal habe ich die erste Gruppe um ausgewählte Kollegen erweitert. Das schafft Vertrauen, das gibt Motivation und das hilft für ein Feedback an die oberste Leitungsebene auf die Frage „Wie ist das Denken bei der nächsten Ebene oder darunter?“.

 

Erfahrungen:

Die Erfahrung zeigt, dass nur 30 % der Führungskräfte sofort mitziehen wollen. Weitere 30 bis 40 % lassen es erst einmal auf sich zukommen und beobachten, ob „das nicht vorbeigeht“. Und der Rest ist für die Aufgabe (und damit für das Unternehmen) nicht zu erreichen. Was würden Sie mit diesem letzten Drittel machen, wenn Sie nur eine Chance haben, es eilig ist und dieses Drittel mindestens 2/3 Ihrer Kräfte benötigt (z. B. weil Sie ständig bei den anderen Mitarbeitern in der Motivation und Kommunikation nachbessern müssen)? Genau, Sie treffen eine Entscheidung für das Unternehmen und für die „guten“ Mitarbeiter und trennen sich von dem letzten Drittel. Hart, aber zielführend. Wir sind hier wieder bei „Leadership“. Die hört nicht auf, wenn es anfängt, weh zu tun. Leader behalten ihr Ziel im Auge, passen den Kurs an, wenn die Wellen oder der Wind eine Anpassung erfordern, und sie sind vor allem fokussiert! Fokus heißt im Umgang mit den Nörglern: Alle Kraft auf die positiven Treiber des Change! Die brauchen jetzt Freiraum, Feedback, Anerkennung, Fehlertoleranz, Kommunikation über Meilensteine und Erfolge, also alle verfügbaren Ressourcen.

Konsequenz der Fokussierung ist die ständige Kommunikation für die Nachvollziehbarkeit des Kurses und der Maßnahmen zum Erreichen des Zieles, das Beibehalten – und möglichst das Steigern – der Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in die Geschäftsführung und das Top-Management und hinein in die Führungsebenen. Und dieses Vertrauen entsteht, wenn Sie für Ihre Entscheidungen einstehen und Verantwortung zeigen. Immer auch im Sinne derjenigen, die wollen. Ansonsten sinkt deren Motivation sogar unter das Nullniveau der Ausgangslage. Im besseren Fall entsteht eine Bewegung, eine positive Energie. Und diese Energie wird benötigt für das „Auferstehen“ des Unternehmens. Wenn die allgemeine Stimmung in die positive Richtung kippt und es vielleicht sogar „hip“ ist, dabei zu sein, bei den Gestaltern, bei denen, die Ideen haben und umsetzen, dann häufen sich Erfolgserlebnisse und es geht darum, das bisher „mitschwimmende“ mittlere Drittel der Führungskräfte zu gewinnen. Die Arbeitsgruppen der Frontrunner sollten jetzt ergänzt werden mit den bisherigen Mitläufern und diese sollten ebenfalls Verantwortung übernehmen müssen und damit auch Erfolge feiern können oder in der Gruppe aufgefangen werden.

Wichtig bleibt aus Top-Sicht: Es ist noch ein fragiles, ein Zwischenergebnis! Jetzt nicht nachlassen mit Präsenz, Kommunikation, Aufmunterung und Fehlertoleranz! Stehen Sie den Mitarbeitern einzeln und in der großen Runde mit Zielen, mit Motivation und für Rückfragen zur Verfügung! Und bleiben Sie fokussiert, konsequent!

Ergebnis:

Der Change hat das Unternehmen erfasst, allerdings mit unterschiedlicher Geschwindigkeit, mit unterschiedlicher Tiefe. Dadurch sind die Mitarbeiter im Unternehmen heute verantwortlicher, entscheidungsfreudiger, zielgerichteter und erfolgreicher! Es hat sich gelohnt.

Zum Abschluss meine Learnings – und nicht alle habe ich beim ersten Mal bereits umgesetzt:

  1. Fokus, Fokus, Fokus
  2. Präsent sein, Mitarbeiter ernst nehmen
  3. Rahmen stecken, Freiraum lassen, konsequent sein

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