Wer Freitagnachmittag über unsere Flure, ob bei komm.passion in Düsseldorf, Hamburg oder Berlin, läuft, der hört aus allen Büros Gefeilsche und Gemurmel. Das klingt mehr nach Basar als nach Kommunikations- und Unternehmensberatung. Die jeweiligen Projektverantwortlichen verhandeln die Kapazitäten der Mitarbeiter in der kommenden Woche. Welche „Kapas“ haben wir? Welcher Mitarbeiter würde ideal auf welche Projekte passen? Stehen die Kollegen überhaupt zur Verfügung? In welchen Projekten sind sie eingeplant?

Das komplette Aufgabenprogramm landet am Ende auf der „Kapa-Tafel“. Dieser große Übersichtsplan ist gewissermaßen eine auf Stellwände gebannte Cloud – und nicht weniger als ein Meilenstein auf dem Weg hin zu einer sich selbst organisierenden Agentur. Ein Meilenstein, der in der deutschen, wenn nicht sogar der europäischen Agenturlandschaft einzigartig sein dürfte.

Die „Kapa-Tafel“ ist nur ein Ergebnis des Agenturumbaus, den wir bei komm.passion vor knapp vier Jahren begonnen haben. Wie so vielfach in der Branche drängen uns Themen wie Arbeitsorganisation und -prozesse. Digitalisierung und die zunehmende Komplexität disziplinübergreifender Aufgabenstellungen zwingen zu einer Anpassung von Arbeitsmethoden. Sie werden von Kunden inzwischen zu einem Kriterium für die Leistungsfähigkeit eines Dienstleisters erhoben.

Planetengetriebe mit drei Komponenten

Also haben wir starre Teamaufstellungen durch flexible, disziplin- und standortübergreifende Arbeitsgemeinschaften ersetzt. Eine Blaupause für laterale Führung. Eine Organisationsstruktur wie ein Planetengetriebe mit drei Komponenten:

 

(Grafik: komm.passion)

1) PO-System als zentrale Achse:

Der Project Owner (PO) betreut die Kunden- und Neugeschäftsprojekte und hat die kaufmännische Verantwortung für die jeweilige Etatführung und die Ressourcenplanung. PO kann jeder in der Agentur sein, vom Geschäftsführer bis zum Trainee. Eigene Teamleiter existieren daher nicht mehr; die Zwischenebene wurde komplett abgeschafft.

Dem PO zur Seite steht ein Supervisor als Sparringspartner, in der Regel ein erfahrener Senior Berater. Bei ausgewählten Projekten zusätzlich ein Kreativdirektor.

2) Mentoren-System zur Personalentwicklung:

Jeder Mitarbeiter hat einen Mentor, meist einen älteren Kollegen mit Führungsausbildung. Der Mentor führt mit seinem Mentee mindestens zwei Gespräche pro Jahr. Daneben ist er ständiger Coach, etwa in Fragen der Karriereplanung oder Weiterbildungsseminare. Der Mentor führt auch alle Gespräche über Geld.

3) Kompetenztreiber-System zum Wissenstransfer:

Kompetenztreiber sind standortübergreifende Gruppen ohne operative Verantwortung. Sie sorgen dafür, dass wir als Agentur unsere Kompetenzen dynamisch weiterentwickeln –von Branchen wie Gesundheitsmarkt bis hin zu Analysetechniken.

 

 

Was hat’s gebracht? Verdammt viel.

komm.passion hat 2016 laut Pfeffer-Ranking mit 54 Mitarbeitern einen Honorarumsatz von 6,3 Millionen Euro erwirtschaftet (plus 5,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr). Ende 2012, als wir die Umstrukturierung begannen, waren es 5,5 Millionen Euro mit knapp 60 Mitarbeitern.

Im Gegenzug sind wir heute zu über 90 Prozent nahezu durchgängig extrem gut ausgelastet. Das flexible PO-System kann unterschiedliche Aufstellungen für verschiedene Projekte testen. So haben sich idealtypische Ablauf- und Aufbauorganisationen für diverse Projekttypen entwickelt.

Der eigentliche Kern des Ganzen liegt jedoch in der breiten Motivation, die freigesetzt worden ist. Transparenz und Eigenverantwortung gehen Hand in Hand. Allerdings sind auch Eigenorganisation und Verbindlichkeit gefordert.

Lief von Beginn an alles reibungslos? Mit Sicherheit nicht.

Wir von der Geschäftsführung haben viel getan, unsere Mitarbeiter frühzeitig mit ins Boot zu holen. Wir haben sie mit den Gedanken und Ideen vertraut gemacht, die eine solch tiefgreifende, ja revolutionäre Neuorganisation mit sich bringt. Das hat sich als sinnvoll erwiesen. Und das eigentlich Spannende ist dabei meist erst entwickelt worden. Doch das war gefühlt nie genug.

Grundlagen wie Leitidee, Führungskonzept und Mentorensystem haben wir Schritt für Schritt im Prozess entwickelt oder aktualisiert. Bestimmte Elemente des Umbaus haben wir immer wieder auf die Agenda gesetzt und zur Diskussion gestellt.

Waren von Anfang an alle Mitarbeiter euphorisch? Auch hier ein klares „Nein“.

Allein entscheiden zu können und Freiräume zu haben, löst bei einigen Mitarbeitern helle Begeisterung aus. Andere dagegen bekommen panische Schweißausbrüche. Große Freiheit auf der einen, extreme Transparenz auf der anderen Seite – in dieser Organisationsform gibt es kein Verstecken. Jeder weiß vom Kollegen, in welcher Form er wann auf welchen Etats arbeitet.

Erstes Learning: mehr auf die „Harmonizer“-Typen achten.

Bei solch tiefgreifenden Anpassungen ist mehr auf Menschen zu achten, die auch Ängste haben, die eine Erklärung brauchen und mitgenommen werden wollen. Das haben wir anfangs manchmal unterschätzt und nun geändert.

Zweites Learning: die Führungskräfte noch stärker in den Entwicklungsprozess einbeziehen. 

Der Abbau von Hierarchien kann dazu führen, dass Mitarbeiter mit bisheriger Führungsverantwortung für ein großes Team den De-facto-Statusverlust nicht verkraften. Wir haben – auch deshalb – eine Reihe von Leadern verloren. Das war klar. Diejenigen, die geblieben oder hinzugekommen sind, sind vom partizipativen Modell begeistert. komm.passion ist jetzt als Arbeitgeber relativ spitz gegenüber Bewerbern positioniert.

Dazu trägt auch die attraktive Vergütungsstruktur bei: Die Agentur schüttet einen wesentlichen Teil des Ergebnisses an die Mitarbeiter aus. Vom Junior bis zum CEO ist der Bonus der Mitarbeiter voll und ungedeckelt vom erreichten Jahresergebnis abhängig. Der 100-Prozent-Bonus ist zuletzt viermal in Folge übererfüllt worden. Ein Grund dafür: Die Agentur erarbeitet sich als Solidargemeinschaft gemeinsam den Bonus. Bei aller Individualförderung gilt an der Stelle die Leistung der Gruppe.

Mindestens einmal monatlich, ausführlicher einmal pro Quartal, erfahren die Mitarbeiter vom CEO, wie die Agentur finanziell dasteht. Gleichzeitig haben wir den Automatismus „mehr Führung = höhere Entlohnung“ durchbrochen: Fachleute, die nicht als POs gebucht werden, haben die gleichen Gehaltsmöglichkeiten wie Führungskräfte.

Drittes Learning: Jedes System hat ein Limit. 

Bei Agenturgrößen von 80 bis 100 Mitarbeitern dürfte das System an Grenzen stoßen. Dann sind unter Umständen weitere Strukturen wie Divisionen nach Gemeinsamkeiten oder Kundengruppen gefragt. Innerhalb der Divisionen aber bleibt das partizipative, laterale Modell das Organisationssystem erster Wahl.

Unsere partizipative Struktur bildet schon jetzt die Zukunft ab, wie sich Agenturen im Zeitalter der Digitalisierung aufstellen können – und gleichzeitig bestmöglich den Eigenantrieb und die Potenzialentwicklung der Mitarbeiter fördern.